Japan in Zeiten des Umbruchs
Der Übergang vom 19. in das 20. Jahrhunderts war eine Zeit, in der sich Japan in einem massiven Umbruch befand. Es war das Ende der Feudalherrschaft des Militäradels, der Samurai, denn der fortschrittliche japanische Meji-Kaiser trieb einen Prozeß der Aufklärung voran. Unter dem Namen "Meji-Restauration" erfolgte eine umfangreiche Modernisierung des Kaiserreiches, die auch - nach vielen Jahren der Isolation - eine Öffnung des Landes nach Westen ermöglichte. Die von den Samurai vertretene Idealvorstellung von einem "Weg des Kriegers", einem ungeschriebenen Kodex über strenge Moral, Loyalität und Ehre - der viele Jahrhunderte als die "Seele Japans" galt - wich innerhalb kürzester Zeit einem neuen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen System nach westlichem Vorbild.
Dieser Kulturschock führte zu einem Gefühl der Entwurzelung und Zerrissenheit in der japanischen Bevölkerung - zumal der Wandel nicht einmal vor den althergebrachten spirituellen Traditionen halt machte. Um die Macht des Staates und des Kaisers zu festigen, wurde nach europäischem Vorbild eine Staatsreligion erschaffen. Es kam zu einer Trennung von Buddhismus (der im 5. Jahrhundert in Japan eingeführt wurde) und dem Shintôismus (der Ur-Religion Japans). Beide Traditionen hatten sich seit dem Altertum friedlich miteinander vermischt. Da der Buddhismus sich, aufgrund seiner Verwurzelung in den spirituellen Traditionen der Samurai, nicht für einen solchen Zweck eignete, wurde nun der Shintô einer gründlichen "Säuberung" von staats wegen unterzogen und neu gestaltet. Auf diese Weise sollte er eine ähnliche Rolle in Japan einnehmen, wie das Christentum in der westlichen Welt. Es folgten anti-buddhistische Ausschreitungen, ein Bildersturm und die Zerstörung und Plünderung buddhistischer Tempel.
Man versuchte sich an der Verbreitung einer "Große Lehre", bei der die Anbetung des Kaisers im Mittelpunkt stand. Die Prinzipien dieser "Großen Lehre" lauteten: "Ehre die Götter, liebe Dein Land. Wisse um die Prinzipien des Himmels und der Menschen. Ehre den Kaiser und gehorche dem kaiserlichen Hof." Ausserdem gab es weitere Prinzipien, die die Steuerpflicht, Schulpflicht, die Militärpflicht sowie die Umstellung auf den westlichen Kalender zum Inhalt hatten. Alles in allem, diente dieses Modell einer Religion eigentlich der Umerziehung eines gesamten Volkes ebenso, wie als Kontrollorgan.
Bald stellte sich jedoch heraus, dass dieses Unterfangen ohne den Buddhismus zum Scheitern verurteilt wäre. Gelehrt wurde nämlich traditionell in den buddhistischen Klöstern und Tempeln durch die dort praktizierenden Mönche. Die Shintô-Priesterschaft hätte eine solche Infrastruktur erst noch aufbauen müssen um die Bevölkerung nachhaltig idiologisch zu beeinflussen. So kam man zu dem Entschluss, dass eine Melange aus Shintô, dem streng moralischen chinesischen Konfuzianismus und dem Buddhismus für diesen Zweck geeigneter wäre. Auch verfügten die Buddhisten über ein großes Netzwerk aus großzügigen Spendern, wohingegen die Regierung kaum Mittel für eine derart aufwändige Umstrukturierung zur Verfügung hatte.
Die Religionsfrage trat aber schließlich doch hinter dringenderen politischen Fragen zurück. So wurde schließlich ein modernes Rechts- und Militärsystem eingeführt, welches seinen krönenden Abschluss in der Verfassung von 1889 fand. Darin wurde in Artikel 28 eine religiöse Freiheit (mit einigen Einschränkungen) festgelegt. Erst 1945 gab es eine endgültige Trennung von Staat und Religion. Seither ist die Ausübung religiöser Praktiken reine Privatsache und wird nicht mehr gesetzlich geregelt.
Die meisten der heute bekannten, modernen Formen der japanischen Kampfsportarten, sind nach diesem Umbruch entstanden, denn das Kriegshandwerk wurde nicht mehr benötigt. Aus Bujutsu, den traditionellen Kriegskünsten, wurde Budô, die Kampf-Kunst, die auf das Innere des Übenden bezug nahm. Sie gelten seither als Methoden zur Selbstverwirklichung und als Weg-Lehren im geistig-spirituellen Sinne. Darüber hinaus entwickelten sich auch rein spirituelle Weg-Lehren, die den Menschen den Zugang zu traditioneller Praxis ermöglichte - wie zu beispiel die Rei-hô-Methode. Und sogar neue Religionen entstanden in großer Zahl. All dies war Ausdruck einer tiefgreifenden Findungsphase, in der sich das japanische Volk befand und deshalb Sicherheit in seinen traditionellen und spirituellen Wurzeln suchte.