Im Mondlicht die Göttin erklingt ihr leises Lied zwischen den Welten. (Ein Haiku von Mondwasserfrau)

Selbsterfahrung: WortMalerei 07/2021

WortMalerei

Endlich, endlich nach zehn Monaten wieder geballte Frauenkraft in Präsenz und vor allem auch in Farbe!! Worte sollten gefunden und im künstlerischen Prozeß zu Bildern werden. Das Erschaffen von eigenen, persönlichen Wortschöpfungen, Zitaten, Gedichten und Textwerken ist sicherlich die kraftvollste und zauberhafteste Art und Weise, mit der Magie der Worte auch künstlerisch zu arbeiten.

Freude
leuchtende Kraft
in Worte fassen
Mutmacher
Energie freisetzen
als Brücke dienend
fühlen
erleben
innere Stimme hören
heilend wirken
Glück auslösend
Magie des Lebens
spüren

(ein Listengedicht von White Feather)

Zur Vorbereitung auf das Wortwagnis, beschäftigten wir uns zunächst mit der Wirkung von Sprache auf unseren Geist und unser körperliches Erleben. In einer Reihe von meditativen Sprach-Experimenten, brachten wir die "Magie" der Worte zur Entfaltung. Welche Assoziationen werden in uns geweckt? Wie ist unser Körperempfinden beim Hören bestimmter Begriffe? Wann wird es eng? Wann wird es weit? Wo entsteht Beklemmung? Wo Euphorie? Jede Frau war eingeladen zu hören und zu spüren um Worte zu finden, die sie persönlich auf eine Art und Weise berühren, dass sie sowohl einen therapeutischen, als auch einen expressiven Prozess einleiten würden. Hier sind nun einige Ergebnisse unserer Sprachakrobatik mit Stift, Pinsel, Farbe und Papier:

Die Magie der Worte

Worte haben eine große Macht. Sie können stärken oder schwächen, heilen oder verletzen. Worte haben politische Sprengkraft und sind Tröster in Not und Einsamkeit:

Wege

Wege, verschlungen und verwoben
Mädesüß am Wegesrand, betörender Duft
Wege, verschlungen und verwoben
Geh ich hier her, geh ich dort her
Lass mich treiben
Wind weht in den Haaren
Tränen auf der Haut

(ein freies Gedicht von Silver Eagle Woman)

Sprache ist unsere Möglichkeit, unseren Empfindungen, Wünschen, Bedürfnissen, Wahrnehmungen und Impulsen eine Form zu geben und sie unserer Umwelt und Dritten gegenüber zu vergegenständlichen. Sie ermöglicht es uns weiterhin, mit unseren Mitmenschen in Kontakt zu treten und uns mit ihnen auszutauschen. Sprachwissenschaft und Kommunikationstheorie erforschen Funktion und Wirkungsweise von Sprache und erklären diese anhand unterschiedlicher Modelle und Theorien.

Assoziationen sind kognitive Verknüpfungen, die entweder kulturell, gesellschaftlich oder familiär übernommen, oder aus eigenen Meinungen, Erfahrungen, Einstellungen, Bewertungen, Wünschen und Absichten unter bestimmten Bedingungen gebildet werden. Emotionen spielen hier ebenso eine beeinflussende Rolle wie angenehme oder unangenehme Sinneserfahrungen und Reize.

Die Heilkraft der Sprache

Bereits aus der Antike gibt es Überlieferungen über die Heilkraft der Sprache. Per neuzeitlicher Definition gilt als Poesietherapie „jedes therapeutische oder selbstanalytische Verfahren, welches durch Schreiben den subjektiven Zustand eines Individuums zu bessern versucht.“ (Prof. Silke Heimes, Uni Darmstadt). Diese Form der Selbsterfahrung, gehört zu den expressiven und kreativen Therapieformen, die das uns innewohnende schöpferische Potential zur Heilung und Persönlichkeitsentwicklung nutzt.

Spiegelkunst

Aus der Tiefe der Erinnerungen
geschöpfte Geschichten.
Altes Wissen erwacht
Erfahrungen übersetzen
Wahrheit strebt lichtwärts.
Reisende
zwischen den Welten
halten Spiegel vor.
Wer wagt den Blick hinein?

(Ein freies Gedicht von Keeper of the Magic Mirror)

Dabei ist zu beobachten, dass das „therapeutische Schreiben“ unseren Blickwinkel verändern kann und unseren Fokus weiter werden lässt, so dass ein neues Schauen auf belastende Themen möglich wird.

Auch bietet es eine Möglichkeit, die Verbindung von Sprache und Körper sinnlich zu erfahren. Welche Wirkung haben Worte auf mein körperliches, sinnliches Erleben? Sprache vermag Körper und Geist miteinander zu verbinden – sie einen gemeinsamen Rhythmus finden zu lassen.

In den Kulturen Asiens ist Wortmagie ein Teil der spirituellen Praxis - in Form von Mantras. Die Seele einer existierenden Sache soll in die Worte übergehen, welche damit Macht entfalten und zum Instrument werden. Was dann durch das Intonieren der Mantras freigesetzt wird, ist die spirituelle Kraft der Worte, es ist das Herz und der Atem in den Silben, der den Worten innewohnende Geist, um Dinge geschehen zu lassen und die Realität zu beeinflussen. Die Magie der Töne, die erzeugt wird, wenn ein Zauberspruch intoniert wird, ruft dabei eine bestimmte energetische Vibration hervor. Die Töne bilden spezielle Muster, um bestimmte Bewusstseinszustände zu erzeugen, die wir auf einer energetischen Ebene erfahren können, da Geist und Energie sich miteinander verflechten.

Das Licht am Ende des Tunnels macht Mut
Dem Fluss des Lebens zu folgen.
Der Verlust geht tief
Die Flut der Tränen braucht Raum
Und zeigt voller Klarheit viele Gedanken und Emotionen.
Das Licht am Ende des Tunnels macht Mut
Dem Fluss des Lebens zu folgen.

(ein Zeevenar von White Swan Woman)

In den spirituellen Lehren Japans begegnen wir den „Drei Mysterien“ – San Mitsu. Diese sind Körper, Geist und Sprache. Der Körper ist physisch: Wir können ihn sehen, wir können ihn fühlen, wir können ihn anfassen. Der Geist ist sehr subtil: Wir können ihn nicht sehen, nicht fühlen und ihn auch nicht berühren. Die Sprache hingegen ist weniger physisch als der Körper und weitaus weniger abstrakt als der Geist: Wir können sie hören und ihre Vibration auch fühlen. Für die meisten Menschen ist es sehr schwierig mit dem Geist zu arbeiten, weil er so wenig greifbar ist. Sprache bzw. Gesänge können eine Brücke zwischen Körper und Geist sein.

Jeder, der einmal ein Tagebuch geführt hat weiß, dass das Aufschreiben von Gefühlen, Gedanken und Ideen, das oftmals nur schwer Fassbare zu ordnen vermag, so dass es eine Struktur und einen Sinn bekommt.

Dr. Felizitas Leitner, Hausärztin in München und Pionierin der Poesietherapie in Deutschland, schreibt über ihre Arbeit mit Gedichten:

„Was machen Gedichte mit uns? Gedichte haben etwas Magisches: auf Papier gedruckte Tinte kann Trostlosigkeit in Hoffnung verwandeln, Verzweiflung in Mut. Von Unruhe und Aggression getriebene Menschen finden plötzlich Ruhe, Kranke erfahren Trost. Mit nur wenigen Worten gelingt es einem guten Gedicht, Dinge von ungeheurer Tragweite zu sagen. Oft hält es zwischen den Zeilen kostbare Überraschungen bereit, die nur darauf warten, entdeckt zu werden.“

Wortwandeln und Textturnen

Im Laufe der Jahrtausende entwickelten sich unterschiedliche Formen der Schrift- und Schreibkunst, von denen wir einige genauer betrachten und ausprobieren wollten: zum Beispiel das Elfchen - ein Gedicht, welches genau aus elf Worten besteht. Das Achrostikon - bei dem die von oben nach unten gelesenen Anfangsbuchstaben des ersten Wortes jeder Zeile den Begriff bilden, um den es in dem Gedicht geht. Wir versuchten uns in der hohen Kunst der japanischen Haiku-Gedichte und verfassten  sogar opulente Oden, die auf gar keinen Fall vorenthalten werden können:

Ode an das Blut

Oh, Du strahlend roter Lebenssaft,
der Du stetig mir durch meine Adern rinnst.
Wie Dein Fließen mich lebendig macht,
meine Organe beben, wenn Du sie benetzt
und durchfeuchtest mit Deiner Körpermagie.
Ohne Dich wäre ich nichts,
Du zellversorgende Zauberin.
Ohne Dich keine Herzenswärme,
kein Gedanke,
kein Atemstoß.
Du rotes Wundermittel,
wie froh bin ich, dass ich nicht blaublütig bin,
sondern Dich warmrot und sättigend,
meine Körperlandschaften berieselnd
in mir spüren darf.
Verlasse mich noch nicht,
Du Lebensspendende,
kein Blutvergießen möge mir so bald
Erstarrung und den Tod bescheren.

(eine Ode von ElisaS) 

Die Inspiration für unsere Wortspiele, bildete zunächst ein so genanntes Assoziationsfeld - eine kontemplative Aufzählung von Gedanken, Eigenschaften und spontanen Bildern, die im Zusammenhang mit dem gewählten Begriff ganz unwillkürlich aus unseren ungeahnten Tiefen emporstiegen.

Hier zum Beispiel ein Assoziationsfeld zum Begriff "Poesie":

Gedicht - schreiben - Worte - Klang - Gefühle - Erleben - Sprache - Dichter - lesen - reimen - Ausdruck - Liebe - Kitsch - Ode - Frühling läßt sein blaues Band - Wortmalerei - Persönlichkeit - in Worte fasse - Schönheit - Traditionen - Überlieferung - versteckte Wahrheiten - Kunst - Minnegesang - Barden - hinreißen lassen - im Fluss - ein Teil von mir - verborgene Wünsche - da will was raus - Potential - Genuss - Freude - Sinnlichkeit - Lampenfieber - Christian Morgenstern - Melancholie - Begleiter - Mutmacher - Empathie - mir fehlen die Worte - manchmal ein Weg - der richtige Klang - eine Ebene tiefer - Wissen - Sprachakrobatik - Textturnen - Wortwandeln - Buchstabenbrei - Geschenk - Ruf aus der Tiefe - unendliche Möglichkeiten - 

Aus diesen Sammlungen entstanden dann vielfältige Texte mit sehr persönlichem Hintergrund. Zum Bespiel ein Elfchen aus eben diesem Assoziationsfeld zum Thema Poesie:

Worte
Unendliche Möglichkeiten
Klang der Gefühle
Ruf aus der Tiefe
Heilung

(ein Elfchen von Emerald Snake)

Die Gedichte bildeten nun die ideale Basis für das bereits siebte FrauenBild-Seminar mit dieser Gruppe: die WortMalerei!

SchriftBild oder BildSchrift?

Nachdem wir uns zunächst in der Vorbereitung mit der therapeutischen und heilenden Wirkung von Sprache beschäftigt hatten, ging es nun an die künstlerische Umsetzung im Atelier der Freien Kunstakademie artefact e.V. in Bonn. Und wieder unterstützte uns der Künstler und Dozent Volker Altrichter mit seinem umfangreichen Erfahrungsschatz!

 

Wie immer gab es interessante Vorträge zum Thema. Kunstvolle Schrift kennen wir aus vielen Epochen und Kulturen. Man denke nur an die Kalligraphie - um das 6. Jahrhundert aus China übernommen, wurde sie in Japan sogar zu einer Weglehre - Shodô, der "Weg des Schreibens". Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte der Schrift, so sind, nach derzeitigem Wissensstand, die abstrakten Schriftzeichen aus den vorher genutzten gegenständlichen Malereien entstanden - eine Kunstform, die aus der Kunst geboren wurde, und die im Laufe der Jahrtausende nichts von ihrer künstlerischen Bedeutung verloren hat!

Flammen züngeln
Empor
Unzälige Farben
Erscheinen in
Rabenschwarzer Nacht

(ein Achrostikon von Flaring Firewoman)

Die Verwendung von Schrift - ob als einzelne Buchstaben, Worte oder Texte - ist spätestens seit dem frühen 20. Jahrhundert wieder ein wichtiger Bestandteil der bildenden Künste- nicht nur in der Malerei - auch die Grafik, die Collage, die Skulptur, das Objekt und die Installation bedient sich der Typografie als gestalterisches Mittel. Man findet sie in Werken berühmter Künstler wie Franz Ackermann, Jean-Michel Basquiat, Joseph Beuys und Jenny Holzer - um nur einige zu nennen. In der Moderne nutzten immer mehr Künstler und Künstlerinnen Buchstaben, Zahlen und Ziffern als Element ihrer Kunst - auch einfach nur Schrift als Kunst an sich. Ein weites Feld also für das FrauenBild 2021!

Bewaffnet mit Pinseln, Bambusfedern, Finelinern, Bunt- und Tuschestiften, Aquarell- und selbstgekochten Naturfarben rückten wir als dann den unterschiedlichen Papieren zu Leibe. Magisch sollte es werden. Bunt und bedeutsam. Geistgeheimnisse in Wort und Bild auf Bütten gebannt. Dabei ging es weniger um die Lesbarkeit der Texte, als um den Einsatz von Schrift als künstlerisches Mittel. Die so entstandenen Werke überzeugen durch ihre Tiefe und Vielschichtigkeit. Sie verleiten den Betrachter dazu im Bild zu verweilen und auf die Suche nach eigener Erkenntnis zu gehen. Bieten Raum für Interpretationen und Assoziationen. Berühren und stoßen Prozesse an. 

Ein Artikel wie dieser kann unmöglich all den aussergewöhnlichen Werken gerecht werden, es muss eine Auswahl getroffen werden, die das vermeintlich Beste vermissen läßt - aber so ist es immer. Beschließen wir also diesen Bericht mit einem Gedicht:

Freiflug

Auf den Schwingen
der Bilder
tragen lassen
Worte fliegen zu
Der Weltenbote horcht auf
breitet die Flügel aus.

(ein freies Gedicht von Keeper of the Magic Mirror)   

 

Seine Fortsetzung findet das FrauenBild im Jahr 2022 in dem Workshop "BuchMacher", zu dem Sie sich bald auf dieser Homepage informieren und anmelden können.

Die Bilder und Gedichte zeige ich in diesem Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Künstlerinnen - ihnen sind alle Rechte vorbehalten und die Verwendung und Verbreitung dieser Fotos durch Dritte ist nicht erlaubt.